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Julian Charrière: Künstler, Forscher, Grenzgänger

„Der Lebensstil unserer Gesellschaft ist keinesfalls nachhaltig!“

Durch den Menschen veränderte Ökosysteme, vom menschlichen Handeln für immer geprägte Natur – das ist das zentrale Thema der Kunst Julian Charrières. Der Gewinner des GASAG Kunstpreises 2018 reist für seine Arbeiten nach Grönland, auf das nuklear verseuchte Bikini-Atoll oder taucht 60 Meter tief. Das Ergebnis: spektakuläre und zugleich zivilisationskritische Werke und Installationen, zu sehen ab Ende September in seiner neuen Ausstellung in der Berlinischen Galerie. Aber was treibt Julian an? Der Schweizer verrät es euch in unserem Interview.
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In deiner neuen Ausstellung in der Berlinischen Galerie zeigst du Impressionen vom Bikini-Atoll, einer im Kalten Krieg von den Amerikanern für Atombombentests genutzten, bis heute immer noch radioaktiv verseuchten und entvölkerten Inselgruppe im Pazifischen Ozean. Nicht unbedingt das klassische Reiseziel. Wie bist du darauf gekommen?

Julian: Es gab verschiedene Gründe, mich intensiver mit dem Bikini-Atoll zu befassen. Zum einen war es die Kurzgeschichte „Terminal Beach“ von J. G. Ballard, die mich gefesselt hat. Ich bin generell ein großer Liebhaber von Ballards Romanen und Erzählungen.

Zum anderen habe ich mich eine Zeit lang intensiv mit der Ikonographie des 20. Jahrhunderts und ihren Bildern beschäftigt. Die ersten Bilder unseres Globus aus dem Weltall haben der Menschheit zu ökologischem Bewusstsein und zu Öko-Aktivismus verholfen. Die Menschen haben verstanden, dass die Erde endlich ist und dass wir uns alle auf einem Raumschiff befinden – wie R. Buckminster Fuller es einst beschrieb. Zugleich ist da aber auch das Bild der Vernichtung und des möglichen Endes der Menschheitsgeschichte: Der Atompilz steht bis heute als Ikone für die Totalzerstörung. Basierend auf diesem Bild hat eine gesellschaftliche Selbstreflexion stattgefunden, die das Selbstbildnis der westlichen Zivilisation geprägt und verändert hat.

Und obwohl es sich hierbei um ein Bild der Zerstörung handelt, hat es aufgrund der geografischen Umgebung aber auch etwas Paradiesisches.
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Julian Charriere – Sycamore – First Light, 2016 (copyright the artist; VG Bild-Kunst, Bonn, Germany)

Worauf können sich die Besucher deiner neuen Ausstellung gefasst machen? Was für Werke zeigst du?

Julian: Meine Ausstellung „As We Used to Float“, die ich im Rahmen des GASAG Kunstpreises 2018 zeige, ist eine multimediale Rauminstallation. Sie führt die Besucher unter die Wasseroberfläche des Pazifischen Ozeans. Die US-amerikanischen Kernwaffentests auf dem Bikini-Atoll vor 70 Jahren haben diesem Ort verheerende Umweltschäden zugefügt und ihn für den Menschen dauerhaft unbewohnbar gemacht. In den Ausstellungsräumen werden sowohl die geologische, soziologische und philosophische Dimension dieser Bombentest, als auch die daraus resultierenden Überbleibsel veranschaulicht und physisch erlebbar gemacht. Dadurch wird einmal mehr ersichtlich, dass der Mensch einer der wichtigsten Einflussfaktoren für die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde ist.

Deine Expedition zum Bikini-Atoll war nicht die erste Grenzerfahrung, die du unternommen hast. Mal warst du auf sowjetischem Kernwaffengelände unterwegs, mal auf Eisbergen in klirrender Kälte, mal auf Tauchgängen in fast unmenschlichen Tiefen. Liebst du den Nervenkitzel?

Julian: Der Nervenkitzel reizt mich sicherlich auf einer persönlichen Ebene, aber die Orte, an die ich mich begebe, werden von den Interessen meiner Recherchen bestimmt. Wenn ich mich auf ein ehemaliges Atomtestgelände begebe oder 60 Meter tief tauche, setze ich mich ganz klar einem bestimmten Risiko aus. Es geht mir in meiner künstlerischen Arbeit aber nicht primär um diese Gefahr oder die abenteuerliche Ebene, sondern um das physikalische Erlebnis und die Erkundung eines bestimmten Ortes oder einer bestimmten Situation.
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Julian Charrière – As We Used to Float – USS Saratoga (copyright the artist; VG Bild-Kunst, Bonn, Germany)

In deinen Arbeiten zeigst du Auswirkungen des menschlichen Einflusses auf unseren Planeten. Neben der Ästhetik sind dir deshalb auch wissenschaftliche Aspekte wichtig. Wie viel Forscher steckt im Künstler Julian Charrière?

Julian: Die heutige Kultur hinterlässt Spuren, die nicht mehr bauliche Monumente sind, sondern eine grundsätzliche Veränderung des komplexen Ökosystems. Diese Situation ist für mich erschreckend und faszinierend zugleich. Die Orte, die ich besuche, repräsentieren die Entwicklung der Menschheit und zeigen die Auswirkung ihrer Aktionen auf ihre direkte Umgebung auf. Ich versuche ihre Geschichten auf abstrakte, aber sensorisch zugängliche Art und Weise zu erzählen, wobei ich auch Erkenntnisse aus Wissenschaft und Forschung verwende. Die Wissenschaft und die Kunst sind vor allem dadurch verbunden, dass sie an nichts glauben, sondern unermüdlich nach Antworten suchen und damit als Motor der Veränderung wirken. Sie erfinden so die Realität ständig neu. In jedem Künstler steckt ein Stück weit Forscher: Der Wille oder der Drang, Dinge in Frage zu stellen, ist ein Grundbedürfnis des künstlerischen Daseins.

Und wie ist der Befund? Gehen wir zu weit im Umgang mit der Natur?

Julian: Der Lebensstil unserer Gesellschaft ist natürlich keinesfalls ökologisch nachhaltig. Die Menschheit hinterlässt Spuren, die das Ökosystem grundsätzlich verändern. Die Kreativität des Menschen war aber immer dann am größten, wenn er sich mit neuen Extremsituationen konfrontiert sah. So besteht auch hier die Hoffnung, dass wir die uns bevorstehende Problematik zur ernsthaften Auseinandersetzung ziehen und unsere Beziehung zur Umwelt neu erfinden.

Bedarf es mehr Nachhaltigkeit in unserem Handeln? Wo ist Klima- und Umweltschutz am dringendsten nötig?

Julian: Alle meine Projekte zusammen stellen Momente der menschlichen Geschichte dar, in denen relativ kleine Handlungen von Menschenhand große klimatische und biologische Auswirkungen auf die Welt haben und das Ökosystem des Planeten für immer verändern. In unserem Handeln bedarf es ganz klar mehr Nachhaltigkeit – und zwar auf allen Ebenen. Sonst ist das Gleichgewicht unseres komplexen Ökosystems ernsthaft bedroht.
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Julian Charrière – Eneman II – Terminal Beach, 2016 (copyright the artist; VG Bild-Kunst, Bonn, Germany)

Zurück zu deiner bevorstehenden Ausstellung in der Berlinischen Galerie. Was soll das Publikum daraus mitnehmen? 

Julian: Meine Ausstellung soll dem Publikum die Möglichkeit geben, mit dem Ort eine sensorische Verbindung einzugehen und einen Dialog zwischen Körper und Umgebung herzustellen. Es geht mir weniger um eine „Message“ an die Besucher, als vielmehr um ein Gefühl, das ich mithilfe meiner Arbeiten vermitteln möchte.

Und was folgt als Nächstes? Woran arbeitest du aktuell? Schon neue Expeditionen geplant?

Julian: Im Anschluss an die Ausstellungseröffnung in der Berlinischen Galerie werde ich mich zusammen mit einem Team auf meine nächste Expedition begeben. In Grönland werde ich meinen nächsten Film „Towards No Earthly Pole“ drehen. Die Gletscher und Eisberge werden in meinem Film zur Bühne für Diskussionen über zeitgenössische Probleme, die unter anderem ein kritisches Licht auf die Errungenschaften der Menschheit werfen.

Wir sind gespannt. Danke für das Interview, Julian.

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